Rennsteig

Thüringen und die Röhn

Nach einer langen pandemiebedingten Benzinsparzeit startete Anfang September 2020 die Ausfahrt zum Rennsteig im Thüringer Wald.

Treffpunkt war der Berggasthof “Tanzbuche” in Friedrichsroda, welcher 720 m über dem Meeresspiegel und idyllisch mitten im Wald gelegen ist. Wie wertvoll die Orientierung mittels Landkarte ist, merkten einige Teilnehmer, die bei der Anreise nur auf moderne Navigation via Mobiltelefon vertrauten, welche den smarten Fahrer z.T. über Forstwege führt. Glücklicherweise verzeiht der 107er leichtes Gelände, wodurch auch enge Forstwege passierbar bleiben. Zudem kommt man bei dieser Routenführung und offenem Verdeck auch schnell mit eifrigen Wanderern in Kontakt. Nachdem auch der letzte verirrte 107er aus dem Gehölz das Licht des Wirtshauses “Tanzbuche” erbilckte, war es an der Zeit, bei einem geselligen Abend wieder neue Motorristen kennenzulernen. Der Name Tanzbuche begründet sich auf eine, an dieser Stelle gewachsenen zerzausten Buche, um welche die Burschen und Mädchen vor 160 Jahren zum Johannisfest tanzten. Der Stadtschreiber vermerkte: „1865 bewohnte hier Waldwart Orphal ein Haus mit seinen sieben Töchtern. Diese waren wohl den Burschen gegenüber so gastfreundlich, dass Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha das Waldwarthaus kurzerhand schliessen ließ“. Hoffen wir, die Teilnehmer der Jahresausfahrt setzten diese aufgeschlossene Tradition in den kommenden zwei Nächten fort…

Für die Rundfahrt am nächsten Tag gab es nicht nur zu jedem Gefährt ein passendes Bordbuch, sondern neben einem kleinen Present auch eine hochwertige Teilnehmerplakette für den Kühlergrill. Die Fahrerbesprechung enthielt zudem die obligatorische Unterweisung zum Hygienekonzept und die Ausgabe der durch Fa. Krohne gesponsorten Mund-und Nasenschutzmasken. Während der Ausfahrt wurde dann auch akribisch der Mindestabstand zwischen den 107ern eingehalten ;-) Bei strahlend azurblauem Himmel starteten die 35 SL-Klassiker auf die erste 98km lange Etappe der ca. 200 km langen Tagestour Richtung Wasserkuppe, welche mit 950 Metern der höchste Berg der Rhön und die höchste Erhebung in Hessen ist.

Bei strahlend azurblauem Himmel starteten die 35 SL-Klassiker auf die erste 98km lange Etappe der ca. 200 km langen Tagestour Richtung Wasserkuppe, welche mit 950 Metern der höchste Berg der Rhön und die höchste Erhebung in Hessen ist.

Die Mittagspause wurde mit einem sensationellen Blick über den Thüringer Wald und die hessische Röhn genossen. Für Technikbegeisterte stand zudem der Besuch des Segelflugmuseums auf dem Programm. Der Segelflug wurde Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Wasserkuppe durch Flugpioniere etabliert. Der Durchbruch des Segelflugs erfolgte Ende des Ersten Weltkrieges, als der motorisierte Flug in Deutschland verboten wurde – eine ideale Nische also für die nichtmotorisierten Gleiter. Bevor wir uns derartige Verbote für den benzinbetriebenen Kaftverkehr vorstellen wollten, weckten wir die von Thermik unabhängigen, oktanbetriebenen 6 und 8 Zylinder aus ihrem Mittagsschlaf. Auch wenn der 107er Fahrer die aerodynamische Rafinesse mancher Koenig Frittentheke schmunzelnd anerkennt, bringt es z.B. der SLC mit rundem Dach und leicht nach oben gewölbten Kofferraumdeckel in der Fünfliter-Version mit kleinem Bug- und Heckspoiler auf einen respektablen cW-Wert von 0.39.

Auf der nachfolgenden 50km langen zweiten Etappe ging zum Vesper weiter Richtung Café Rhem in Dermbach. Seit zehn Jahren verwendet die hauseigene Eismanufaktur für die über 50 verschiedenen Eisspezialitäten regionale Zutaten. Angekommen am Café waren neben den Automobilen auch die blau maskierten RT04ern besonderer Hinkucker. Im Sinne des Mannschaftsgeistes waren die Masken somit verbindender als jedes Trikot. Nachdem auch hier wieder keiner unter dem Gesichtsschutz erstickte und sich auch der letzte verirrte 107er eingefunden hatte, war es an der Zeit, die dritte Etappe in Angriff zu nehmen. Im Brotterode-Trusetal machten viele Teilnehmer am höchsten Wasserfall des Thüringer Waldes einen kurzen Zwischenstopp. Genau wie der 107er ist auch die Stauanlage mit aus der Truse abgezweigtem Wasser kein natürlich entstandenes Naturphänomen, sondern eine künstlich durch den Techniker geschaffene Attraktion – in diesem Fall jedoch bereits aus dem Jahr 1865. Vergleichbar mit vielen Oldtimern wird auch der Wasserfall in den Wintermonaten abgestellt, hier aber um Frostschäden an der Gesteinskulisse zu verhindern. Einen besonderen Reiz der Tour stellten die Sonderprüfungen dar. Dabei wurden die Kenntnisse in Geographie durch die Schätzung der Entfernung nach Leipzig getestet – ein echter Vorteil für geübte Kartenleser. Das technische Wissen konnte bei der Identifikation von Kleinstteilen aus dem SL unter Beweis gestellt werden, während das historische Rüstzeug durch Abfrage der Jahreszahlen verschiedener SL Bauformen getestet wurde. Neben der Theorie konnte zudem mit fahrerischen Fähigkeiten beim Rückwärtseinparken und beim 107er-Dart gepunktet werden. Den Gewinnern wurde zur späteren Siegerehrung nicht nur ein Pokal überreicht, sondern unter Applaus auch die gebührende Anerkennung zu teil.

Nachdem wie erwartet alle 107er und ein R129 ohne technischen Ausfall wieder in der traditionsreichen Tanzbuche eingetroffen waren, die Verdecke und Schiebedächer geschlossen und auch der Letzte sein Parklicht ausgeschaltet hatte war es Zeit, dem Spanferkel seine Aufwartung zu machen und das leibliche Wohl zu befriedigen. Und so wie die Automatik mit dem 107er eine Symbiose bildet, passt der Aromatique zum Fahrer, insbesondere nach einem zünftigen Abendmahl in geselliger Runde. Anfang des 19. Jahrhunderts stellte der Neudietendorfer Apotheker Daniel Thraen aus Anlass einer Epidemie erstmals ein alkoholhaltiges Arzneimittel aus Kräutern her. Dieses begründete den Ursprung des Gewürz-Bitter „Aro“; und was in einer Epidemie geholfen hat, kann prophylaktisch bei einer Pandemie nicht schaden… Um die faszinierende Natur der Greifvögel und Eulen kennenzulernen, ging es am dritten Tag im Konvoi zur Falknerei “Am Rennsteig”, welche zwischen Winterstein und Ruhla gelegen ist. In der Flugshow konnten die Könige der Lüfte hautnah erlebt werden und beeindruckten mit majestätischen Freiflügen.

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